Donnerstag, 13. September 2007

Mo, 13. Sept. 2004

Der erste Schultag



Der große Tag war gekommen. Heute würde sich zeigen, ob all die Vorbereitungen der letzten zwei Wochen Früchte getragen hatten. Es würde sich zeigen, wie viel aus den Manuals wir in die Tat umsetzen könnten.


Ein "normaler Schultag" läuft wie folgt ab. Kurz vor 7:45 Uhr läutet einer von uns Lehrern die Schulglocke. Das ist für die Schülerinnen und Schüler (im Folgenden verwende ich "Schüler" für beide Geschlechter) das Zeichen zum Antritt zu den Opening Exercises.



Zunächst stellen sich die drei Supervisors im Abstand von ein bis zwei Metern nebeneinander auf. Die Schüler bilden vor ihm eine Schlange mit dem Gesicht zum Supervisor. Den Abschluss der Schlange bildet der jeweilige Monitor, das ist ein Lehrer mit geringeren Kompetenzen als ein Supervisor. Nun wird ein Lied gesungen und anschließend willkürlich eine Person ausgewählt, die ein Gebet spricht. Dies kann ein Lehrer oder ein Schüler sein. Anschließend marschieren die drei Reihen nacheinander ins Schulhaus.


Dort werden die Pledges abgehalten. Wir geben drei Pledges (Versprechen) ab: eines auf die gambianische Flagge, eines auf die christliche Flagge (sowas gibt's tatsächlich!), und eines auf die Bibel. Drei Schüler dürfen jeden Tag je eines dieser drei Symbole halten, während alle Anwesenden gemeinsam die Pledges aufsagen. Dabei wird die rechte Hand aufs Herz gehalten. Die drei Schüler wechseln jeden Tag.


Wenn alle drei Pledges abgeschlossen, und keine besonderen Ankündigungen zu machen sind, beginnen die students mit ihrer PACE-work. PACE bedeutet Packet of Accelerated Christian Education, d.h. praktisch nichts anderes als eine Art Arbeitsheft. Ein student belegt drei bis sieben subjects (Fächer), abhängig von seiner "Klassenstufe" und Begabung. Klassenstufen nach unserem Verständnis gibt es allerdings nicht, da der Unterricht individualisiert ist. Ein neu beginnender Schüler startet in allen subjects mit den PACEs der Nummer 1001. Auf das Durcharbeiten der PACEs gehe ich an anderer Stelle noch ein. Wenn ein Schüler in allen subjects mit PACE #1013 beginnt, ist das gleichbedeutend mit dem Eintritt in die nächst höhere Klassenstufe. (Die Schüler werden jedoch nicht darüber aufgeklärt, dass je 12 PACEs ein "grade level" ausmachen).



Letztes Jahr waren noch die großen Boys hier, die bis Ende achte / Anfang neunte Klasse gekommen waren (obwohl schon um die 20, wurden sie immer noch als boys bezeichnet). Sie wechselten jedoch zum Beginn dieses Schuljahrs auf andere Schulen und so haben wir momentan nur Schüler bis zum fünften Grade Level.


Aufgrund der geringen KLassenstärken haben wir mehrere Klassen in Learning Centers zusammengefasst. Die KLassen 1 und 2 bilden das I. Learning Center. Supervisor ist Sabadou Gomez, Monitor ist Paul Warkentin. Das II. Learning Center wird von den Schülern der 3. KLasse gebildet. Der Posten des Supervisors wurde mir anvertraut; Nano Manneh ist mein Monitor. Klasse 4 und aufwärts bilden das III. Learning Center. Bis Dezember ist Matze Supervisor, mit Andi als Monitor. Was danach ist, wird sich weisen.


Jeden Morgen ist die erste Aufgabe aller Schüler das setzen der Goals des Tages. Ist das erfolgt, beginnen sie selbstständig zu arbeiten, an einem PACE ihrer Wahl. Jeder Schüler sitzt in einem office und arbeitet für sich. Mit office ist hier kein (Großraum-) Büro gemeint, sondern einen lange Schulbank, die sich an der Wand entlang zieht. Eine Arbeitsfläche von etwa einem Quadratmeter ist durch zwei horizontal im rechten Winkel angebrachte Bretter von den anderen Arbeitsflächen abgetrennt. Die Bretter fungieren wie Scheuklappen, d.h. sie sollen Sicht- und sonstigen Kontakt zu den Nebensitzern unterbinden, damit jeder ungestört arbeiten kann.



Kommt ein student an einen Punkt an dem er Hilfe oder sonst etwas benötigt, so pflanzt er eine von zwei Flaggen rechts vor sich auf. Die Nationalflagge bedeutet dem Monitor zu kommen, die christliche Flagge ist das Symbol für ein "größeres" oder "wichtigeres" Problem und erfordert den Supervisor. In der Praxis wird es so gehandhabt, dass die christliche Flagge dem Supervisor vorbehalten ist, und auf die Nationalflagge beide Lehrer reagieren, ganz einfach weil sie viel öfter aufgepflanzt wird als die "Supervisor-Flag". Ansonsten würde eine ungleiche Arbeitsbelastung entstehen. Außerdem helfen Lehrer bei denen weniger los ist, schon mal in fremden Klassen aus, wenn dort ein Flaggenwald entsteht.


Für gewöhnlich geht ein Schultag bis zum Mittagessen. Die Schüler haben Schuluniform zu tragen. Nachmittagsunterricht findet nur Dienstags und Donnerstags statt. Allerdings nur für Schüler des III. Learning Centers und auch nicht unter den strikten Auflagen der Kleiderordnung, die am Vormittag herrscht; soll heißen, nachmittags dürfen sowohl Lehrer als auch Schüler ihre eigenen Klamotten tragen. Mittwochs ist Project Class, d.h. alle Schüler, die sich für ein Projekt eingetragen haben (das sie aus ihren PACEs machen müssen), erscheinen an diesem Nachmittag und machen die Projekte mit ihrem jeweiligen Supervisor.



Dessen ungeachtet beginnt um 16:00 Uhr noch einmal ein Arbeitseinsatz für Supervisor und Monitor. Der Monitor fertigt den Goal Check Report an. Dazu überprüft er die Tagesarbeit eines jeden Schülers seines Learning Centers und schaut nach, ob sich nicht trotz Scoring ein Fehler eingeschlichen hat, und ob der Schüler alle für diesen Tag gesetzten Ziele erreicht hat. Seine Ergebnisse hält er auf einem entsprechenden Formular fest. Des Supervisors Aufgabe ist es, Tests zu korrigieren und die Ergebnisse und Fortschritte seiner Schüler festzuhalten.


Da Nano, mein Monitor, die diesen und den Folgenden Tag nicht da war und ich noch keine Arbeiten zu korrigieren hatte, übernahm ich solange seine Arbeit. Außer den nachmittäglichen Goal Checks bedeutete das vormittags auch die alleinige Verantwortung für ein ganzes Learning Center. Diese vielleicht ungeheuer erscheinende Aufgabe relativiert sich, wenn man bedenkt, dass erstens ein Learning Center nicht mehr als 9 Schüler umfasst, und zweitens bis Mittwoch lediglich drei meiner Schüler eingetroffen waren. Der Rest hatte es nicht rechtzeitig zu Beginn der Schulzeit geschafft ...



Die Kraftprobe


Gleich am ersten Schultag hatte es einer der Schüler, David Mandy, darauf angelegt die Grenzen der Lehrer auszutesten. Er war ausgerechnet einer von meinen bis dato drei Schülern. Schon während des Unterrichts viel er durch sein Verhalten negativ auf, und nach der ersten größen Pause weigerte er sich vollends, Anweisuungen entgegenzunehmen, geschweige denn Folge zu leisten. Da hatte ich die Bescherung. Und das bereits am ersten Schultag!


Noch frisch unter dem Eindruck des teacher's training, fragte ich mich, was das Handbuch zu einer solchen Situation sagte ("the most important thing for a supervisor is to follow the manual.").


Die Antwort war klar: einen gleichgeschlechtlichen Zeugen besorgen, dann den Delinquenten schnappen und mit beiden in ein abgesondertes Zimmer marschieren. Nachdem über das vorliegende Missverhalten gesprochen wurde, und der Betreffende Einsicht gezeigt hatte, musste körperliche Züchtigung in Form von Stockschlägen erfolgen, um einem solchen Verhalten in Zukunft vorzubeugen. Anschließend war mit dem Betreffenden zu beten und ihn mit einem Lächeln zu entlassen.



Also zog ich Matze als Zeugen hinzu. Besser gesagt, er leitete das "Verhör" und ich hörte als Zeuge zu, wie so etwas von statten geht. David zeigte sich allerdings so uneinsichtig, dass er uns kaum eines Wortes oder Blickes würdigte. Nach Zehn Minuten fruchtloser Diskussion beschlossen wir, ihm zunächst drei Stockschläge zu verabreichen, in der Hoffnung, dass es dann besser laufen würde. Matze verabreichte sie ihm, und wir setzten das Gespräch fort. Es war allerdings der gleiche Monolog wie zuvor. Nachdem auch zwei weitere von mir verabreichte Schläge nicht fruchteten, beschlossen wir, das "Gespräch" zu beenden. Wir setzten ihn vor die Tür mit der Anweisung, sich nicht eher von der Stelle zu rühren, bis er uns etwas mitzuteilen habe.



Nach 10 weiteren Minuten war er soweit. Er lies mich rufen und sagte, es tue ihm Leid. Aber so einfach lies ich ihn nicht davon kommen. Ich fragte ihn, ob er zukünftig unseren Anweisungen Folge leisten wolle. Nach einigem Zögern stimmte er zu. Wir beteten noch zusammen, und dann ging's weiter. An diesem Tag gab es keine weiteren Zwischenfälle.

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